Kultivierte Neurochemie und unkontrollierte Kultur

Über den Umgang mit Gefühlen in der psychopharmakologischen Halluzinogenforschung

Zeitschrift für Kulturwissenschaften, special issue “Emotionen“ (forthcoming)


Im Zeitalter der Psychopharmakologie sind Gefühle zum Gegenstand neurochemischer Interventionen geworden. Seit den neunziger Jahren, der so genannten Dekade des Gehirns, werden in diesem Zusammenhang auch die Wirkungen halluzinogener Drogen wieder vermehrt erforscht. Deren Einnahme kann zu höchst unterschiedlichen Gefühlszuständen führen. An einem Ende des Spektrums steht das, was Halluzinogenforscher im Anschluss an Freud als „ozeanisches Gefühl“ bezeichnen: ein ekstatischer Zustand, der als transhistorischer und überkultureller Kern mystischer Erfahrungen gilt. Doch die damit einhergehende „Ich-Auflösung“ kann auch angstvoll erfahren und zum bad trip werden. Auf Basis ethnografischer Beobachtungen beschreibt der Artikel die wissenschaftliche Erforschung dieser Zustände im neuropsychopharmakologischen Labor.

Der Goldstandard pharmakologischer Forschung ist die placebo-kontrollierte Studie. Indem unter ansonsten identischen Bedingungen einmal die zu untersuchende Substanz und ein andermal ein Placebo verabreicht werden, wird die pharmakologische Wirkung so konstruiert, dass diese ausschließlich dem Pharmakon zugeschrieben werden kann. In ihrem Forschungsalltag setzten sich die beobachteten Halluzinogenforscher jedoch durchaus mit dem Einfluss psychologischer, sozialer, atmosphärischer und kultureller Faktoren auf das emotionale Erleben ihrer Versuchspersonen auseinander. Aus ethischen und epistemologischen Gründen versuchten sie die von ihnen untersuchten Geisteszustände zum Teil auch zu kontrollieren. In ihren Fachpublikationen fand dies jedoch kaum Erwähnung und wurde nie selbst zum Gegenstand systematischer Erforschung.

Dieser Befund bietet eine Gelegenheit zum Dialog zwischen den „zwei Kulturen“ der Neuro- und Kulturwissenschaftler. 1959 schlug der Anthropologe Anthony Wallace vor, die placebo-kontrollierten Studien um „kulturkontrollierte und situationsbezogene Studien“ zu ergänzen. Doch dieser Ansatz würde Neuropsychopharmakologen und Kulturwissenschaftler gleichermaßen herausfordern: Die Pharmakologen müssten von einer als Pharmakologismus bezeichneten Doktrin lassen, die die Wirkung von Psychopharmaka aus dem Kontext ihrer Einnahme herauslöst und allein auf das pharmakologische Wesen der Droge zurückführt. Den Kulturwissenschaftlern würde hingegen zugemutet, zu diesem Zweck eine mit der neurowissenschaftlichen Forschungspraxis kompatible Operationalisierung und damit Ausdünnung ihres Kulturbegriffs zu leisten – oder zu erklären, was für andere Formen eine kulturwissenschaftlich informierte Psychopharmakologie annehmen könnte. Als Beitrag zum Debattenteil des Themenheftes wirft der Artikel damit die Frage auf, ob und wie sich die von Neuro- und Kulturwissenschaftlern jeweils ganz verschieden verstandene „Objektivität der Gefühle“ auf einen gemeinsamen Nenner bringen ließe.

 

 

Abstract